Jurnalul National: "Unsere Deutschen - ein Volk, das uns
fehlt" (I)
Eine umfangreiche Dokumentation widmet die Tageszeitung Jurnalul National vom 26. April 2004 der deutschen
Minderheit in Rumänien (die Siebenbürgische
Zeitung berichtete). Unter dem Titel "Unsere Deutschen- ein Volk, das
uns fehlt" beleuchten bekannte Historiker und Publizisten das Schicksal
und die maßgeblichen kulturellen Leistungen der deutschen Bevölkerung. Mehrere
Artikel werden in einer Übersetzung von Klaus Danielis
im Folgenden und in der morgigen Siebenbürgischen Zeitung Online auszugsweise
vorgestellt.
Unsere
Deutschen: deportiert, verkauft und bedauert
Link zum Artikel von Jurnalul National: Nemtii nostri - Deportati, vanduti, regretati
Mit Schnüren schlossen sie ihre Hemden und nicht mit Knöpfen, diese hätten der
vor Stolz geschwellten Brust nicht standgehalten. Sie haben ihre Demütigungen,
an denen andere Völker erloschen wären, ertragen. Seit ihrer Ansiedlung, in
Siebenbürgen, nachdem sie der ungarische König Geisa
II. um das Jahr 1162 rief, die Grenzen des ungarischen Reiches zu schützen, und
bis zum Eintreffen der letzten Deutschen auf rumänischem Boden, in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts – in Großpold bei
Hermannstadt – es handelt sich um die „Landler“,
Sieger in allen von Ceausescu eingeleiteten sozialistischen Wettbewerben. Damit
stand an Seite der Rumänen ein Beispiel von Zivilisation. Diese Menschen
verdienen unsere Hochachtung aus unendlich vielen Gründen. Die folgenden Seiten
sind eine Huldigung anMenschen, die vor allem durch
ihre Taten sprechen. Unseren Deutschen.
Im Herbst 1940, nachdem Bessarabien und die Bukowina
gewaltsam abgetrennt wurden, lebten auf rumänischem Boden 525 000 Deutsche,
davon 275 000 Banater Schwaben und 215 000 Siebenbürger Sachsen. Unter dem
Einfluss radikaler Elemente (vor allem beeinflusst durch die Entwicklung der
europäischen Politik) wurde am 21. November desselben Jahres die Deutsche
Volksgruppe Rumäniens (DVR) gegründet, unter Leitung einer quasi Ortsfiliale
der NSDAP, der nazistischen Hitlerpartei. Dieser politische Anschluss an das
scheinbar unbesiegbare Reich hat die deutsche Minderheit Rumäniens nur in
Schwierigkeiten gebracht – eine Minderheit, die zu den friedlichsten und
fleißigsten dieser Region Europas zählte, aus der siebenbürgische Kleriker,
Wissenschaftler und Industrielle hervorgingen und von denen die rumänische
Mehrheitsbevölkerung stets zu lernen hatte.
Als direkte Folge der Ereignisse des verhängnisvollen Novembers 1940 begann am
16. Januar 1945 der Nachkriegs-Leidensweg der Deutschen aus Rumänien; Gheorghe Gheorghiu-Dej befand
sich in Moskau zur Unterzeichnung eines Abkommens, das die wirtschaftlichen
Bedingungen zur Anwendung des Friedensvertrages festlegt. Stalins Leute
stellten dabei eine zusätzliche Forderung: Als Kriegsentschädigung, die
Rumänien der Sowjetunion schuldete, sollten die Deutschen aus Rumänien als
Lasttiere beim Wiederaufbau der UdSSR eingesetzt werden! Es war eine der beschämenden
politischen Aktionen im Anfangstadium des rumänischen Kommunismus. In den
Jahren 1945-1946 wurden auf Anordnung der Sowjetischen Kommandatur
in Bukarest 80 000 Rumäniendeutsche ausgehoben und zur Zwangsarbeit in die
Sowjetunion deportiert, von diesen kamen mehr als 20 Prozent nicht mehr in die
Heimat zurück (einige Historiker sprechen von 150 000 Deportierten). Gemäß den
getroffenen Anordnungen mussten es Männer im Alter zwischen 17 und 45 Jahren
und Frauen zwischen 18 und 30 Jahren sein, sogar jene die Kleinkinder im Alter
von weniger als einem Jahr zu betreuen hatten. Die Wenigsten von diesen hatten
etwas mit dem antisowjetischen Krieg zu tun gehabt; ihre einzige Schuld bestand
darin, als Deutsche geboren zu sein.
4000
Mark für ein Kind , 6000 Mark für einen Rentner
Nach zwei Jahrzehnten durchschreitet Rumänien eine ganz andere Epoche. Der
mörderische Anfangskommunismus wurde von einem nationalistischen Kommunismus
abgelöst, der liberalere Saiten aufzog. Am letzten Januartag 1967 unterzeichnete
der Rumänische Außenminister Corneliu Manescu in Bonn die Papiere zur Aufnahme diplomatischer
Beziehungen, auf Botschafterebene, zwischen der Sozialistischen Republik
Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland. Für die internationale Presse war
das eine echte Überraschung: Rumänien war das erste Land des Ostblockes, das
diesen diplomatischen Schritt mit tiefgreifenden
politischen und wirtschaftliche Folgen wagte. Noch im August desselben Jahres
besuchte Willy Brandt - als Vizekanzler der Bundesrepublik – Rumänien. Im Juni
1970 besuchte der rumänische Premier Ion Gheorghe
Maurer die Bundesrepublik; als Staatschef kam im Mai 1970 Gustav Heinemann nach
Rumänien; im Juni 1973 wurde das rumänische Ceausescu-Paar ehrenvoll in Bonn
empfangen usw. Sowohl das Abkommen von 1967 als auch jenes von 1970 hatten
geheime Kapitel: auf Betreiben der rumänischen Seite stimmte die deutsche Seite
zu, für jeden Rumäniendeutschen, der eine Ausreisegenehmigung bekommt, eine
Gebühr zu zahlen. Die Begründung der rumänischen Regierung war einfach und
hatte keinen moralischen Bezug: Solange das rumänische Schul- und
Gesundheitswesen in Rumänien kostenlos seien, müsste der kommunistische Staat,
die in jeden ausreisenden Bürger getätigten Investitionen zurückfordern. Im
Kontext des direkten und symbolischen Wettlaufes mit der DDR, die bemüht war
jeden Deutschen, der in den kommunistischen Bruderländern lebte, anzuheuern,
hatte die Bundesrepublik diesem Handel zugestimmt. Demzufolge verließen
schätzungsweise 200 000 Rumäniendeutsche, Nachkommen der ehemaligen sächsischen
und schwäbischen Kolonisten, von 1967 bis 1989 Rumänien. Wie das bekannte
Wochenblatt „Der Spiegel“ 1985 enthüllte, soll die Höhe der Abkaufsummen vom
Ausbildungsniveau abhängig gewesen sein und betrug zwischen 4 000 und 10 000
Mark; für ein Kind betrug die Gebühr 4 000 Mark, für einen Rentner 6 000 Mark:
Das Geld wurde auf ein Konto der rumänischen Regierung als Darlehen eingezahlt.
Nach älteren Gewohnheiten mussten zusätzlich zu diesen Zahlungen, offiziell
oder inoffiziell, bei den Passämtern oder bei der Securitate
weitere Gefälligkeitszahlungen entrichtet werden.
Die Zahlungen und der Menschenhandel werfen ein unehrenhaftes Licht auf das
kommunistische System Rumäniens, vor allem weil stets behauptet wurde, dieses
System sei allen anderen weitaus überlegen. Die Verpflichtung, Gebühren zu
zahlen, um aus diesem „Paradies“ entweichen zu können, war keineswegs vereinbar
mit dem Anspruch der vermeintlichen „vielseitig entwickelten sozialistischen
Gesellschaft“.
Deportiert oder verkauft, die deutsche Minderheit stellt einen großen Verlust
für das Rumänien des 20. Jahrhunderts dar. In ihren Bestrebungen zur Schaffung
eines ethnisch einheitlichen Staates hat die kommunistische Regierung eine
Lebensweise zerstört, die sich über Jahrhunderte etabliert hatte. Dadurch wurde
aus Rumänien eine Ethnie vertrieben, die im Laufe der
Zeit mehr Vorteile als Schwierigkeiten gebracht hatte.
Dr. Adrian Cioroianu, Fakultät für Geschichte der
Universität Bukarest
"Gut,
dass ihr geblieben seid, damit wir zu jemandem kommen können"
Link zum Artikel von Jurnalul National:
"Bine ca ati
ramas, ca avem unde veni! "
Im letzten Vierteljahrhundert haben die meisten Sachsen die Hermannstädter
Gegend verlassen. Die Verbliebenen führen, vereinsamt, ein Leben wie im
verlorenen Paradies. Einfach ist ihre Sprache, nicht nachtragend und hilflos, leben die in der Heimat verbliebenen Sachsen in der
Vergangenheit. Sie bewahren in sich die Kühnheit schwerer Prüfungen und die
Friedfertigkeit eines Glaubens, der sie über alle Schwierigkeiten führt.
Zwischen den verschlafenen Häusern in Michelsberg wundert man sich, niemandem
„Guten Tag“ sagen zu können. Plötzlich erscheint der Postzusteller Michael
Henning und erzählt wie es war, als er diese Stelle 1989 angetreten hatte:
Damals war es ganz anders, 300 Abonnenten des „Neuen Weg“ warteten auf ihre
Zeitung. Danach ging es bergab. In zwei Jahren veränderte sich alles. Es war
schrecklich, auf den Straßen nur die Hunde und ich. Heute weisen Heltau und das Straßendorf Michelsberg das geringste
Durchschnittsalter unter der deutschen Bevölkerung Rumänien auf: 33 Jahre.
Hans Rechert, Vorsitzender der
Nachbarschaftlichen Landwirtschaftsvereins in Großpold,
schaut trotz seiner 78 Jahre gut aus. Sein Anwesen ist mit 10 ha Wiesen,
Weingärten und Ackerland gutes Mittelmaß. Er erzählt: „Vor dem Krieg erzeugte
Rumänien so viel Getreide, um damit weltweiten Export zu betreiben. Heute wird
das Geteide importiert. Im Nazideutschland gab es
Lebensmittelkarten – bei uns nicht.“ Nach dem Krieg verschleppten ihn die
Russen in die ukrainischen Kohlengruben des Donezkbecken und die Rumänen nahmen
ihm das Haus und sein Vermögen. 1949 kam er zurück und fand einen Kolonisten
auf seinem Hof. „Alles gehört nun mir, die Partei hat es mir gegeben“, belehrte
ihn dieser und er durfte im Keller wohnen. Später wurde er aufgefordert, in die
Kollektivwirtschaft (spätere LPG) einzutreten, nur so konnte er sein eigenes
Haus zurückbekommen. „Die Partei hat es dir gegeben, die Partei hat’s dir
genommen“, sagte ich ihm dann und er verließ mein Haus.
"Unsren
Jesus Christus"
Zwei Drittel der heutigen Großpolder Bevölkerung sind Roma, der Rest von 50
Familien sind Rumänen und Deutsche. Dreißig Alte und ein Dutzend Jüngere
besuchen sonntags den Gottesdienst, der von einem deutschen Pfarrer zelebriert
wird. Nachher wird im Kirchhof über die anstehenden Kommunalwahlen gesprochen:
„Wenn die Rumänen sich mit den Deutschen einigen könnten, gäbe es keinen Roma-Bürgermeister“, wird geflüstert.
In Leschkirch, auf der Straße nach Fogarasch, steht das Gedenkhaus „Samuel von Brukenthal“ – Gubernator
Transsylvaniens von 1777 bis 1787 – einer Glanzzeit für die Wirtschaft und
Künste in Siebenbürgen. Nur eine gelähmte Sächsin gibt es noch in diesem Dorf.
„Heim und Heimat“ ist das Moto des Alten- und Pflegeheimes „Dr. Carl Wolf“ in
Hermannstadt. Für die Alten der deutschen Gemeinschaft ist es eine Wohltat
hierher zu gelangen. „Schöne Grüße nach Bukarest, aber besuchen Sie auch andere
Altenheime, dann werden Sie verstehen, warum auch Leute aus Deutschland uns
beneiden.“
Ein
politisches Forum für alle Deutschen Rumäniens
1938 lebten ungefähr 750 000 Deutsche in Rumänien, bei der letzten Volkszählung
waren es noch 80 000. Vor dem zweiten Weltkrieg gab es 300 000 Sachsen in
Siebenbürgen, davon gibt heute noch 20 000. Die deutschen Foren wurden im
Dezember 1989 als Vertretung der deutschen Minderheit gegründet. Mitglied kann
jeder Bürger Rumäniens werden, der seine Zugehörigkeit zu der deutschen
Minderheit erklärt und Deutsch als Muttersprache benützt. Das Landesforum
stellt eigene Kandidaten für die Parlaments- und Kommunalwahlen. Fast in allen
Ortschaften mit deutscher Bevölkerung gibt es Gliederungen des Forums. Die
Gesamtzahl der Mitglieder ist ca. 53 000 Personen. Der
Hauptsitz befindet sich in Hermannstadt.
Die
Erfahrungen der Auswanderung und der Rückkehrer
Marie Luise Roth-Höppner, die Tochter des bekannten Politikers der
Zwischenkriegszeit, Hans-Otto Roth, ist nach Hermannstadt zurückgekehrt. 1969
verließ sie Rumänien, weil sie ihren Beruf nicht ausüben durfte. Die Gefahr,
erneut verhaftet zu werden, war groß. Nur schwer hat sie sich in Deutschland
integrieren können, zwischen Menschen, „die nicht verstehen, was einem lieb
ist“. Der Grund ihrer Rückkehr, zusammen mit ihrem Gatten, einem Hamburger, war
das Heimweh.
Radu Tutuianu
Die
Banater Schwaben kurz vor ihrem Ende
Link zum Artikel von Jurnalul National:
Neamul svabilor din Banat sta sa
piara
Seit sie im Banat leben, seit gut 300 Jahren, konnten die Banater Schwaben ihr
Schicksal nie bestimmen. Sie wurden mit Gewalt von den Österreichern zum
Schutze der Grenze hingebracht, viele wurden nach dem Krieg nach Sibirien oder
in den Baragan deportiert. Die einzige selbst
gefällte Entscheidung war jene, Rumänien nach 1989 zu verlassen. In zehn Jahren
wird es unsere Deutschen nicht mehr geben, sagt der Chefarchitekt von Temeschburg. Die noch Verbliebenen bemühen sich, nicht nur
eine Erinnerung zu werden.
(Traian Bubija und Doru Cobuz)
"Von
dieser Stelle weiche ich nicht"
Link zum Artikel von Jurnalul National:
"Din acest loc
eu nu ma clintesc"
GLAUBE:
Sächsischer Schriftsteller und Pfarrer, großer rumänischer Patriot: Eginald
Norbert Schlattner
Auf der gegenüberliegenden Seite des Rathauses der Gemeinde Rothberg steht die
evangelische Kirche. Majestätisch gen Himmel gestreckt. Daneben das Pfarrhaus
mit weit offen stehenden Fenstern. Hier lebt „Sachsenpfarrer“ Eginald Norbert Schlattner. Der Geistliche hat weiß-weißes Haar und sehr
blaue Augen. Er empfängt uns, gekleidet im schwarzem
Anzug, mit einem Seidenschal umhangen und entschuldigt sich wegen der drei
Hunde. „Ein Pfarrer dürfte keine Wachhunde haben, nicht wahr? Den Pfarrer
müssten nur die Engel schützen!“
Er kam 1933 in Arad zur Welt und ist Pfarrer in
Rothberg und Gefängnisseelsorger. Er ist Erfolgsschriftsteller – der späten
Stunde. Im Januar 2002 wurde der Sachse zum „Kulturgesandten Rumäniens“
ernannt. 1945 wurde sein Vater Felix zur Zwangsarbeit nach Russland
verschleppt. Im selben Jahr wurden die sächsischen und die schwäbischen Bauern
enteignet. Man nannte sie Hitler-Kolaborateure. 1948
wurde auch seine Familie enteignet und zum Fenster hinausgeworfen.
Zu
Pfingsten, treffen sich 18 000 Sachsen in Bayern
Peter Jacobi ist ein bekannter Bildhauer. Er lebt schon seit 34 Jahren in
Deutschland, spricht aber wie die Siebenbürger Sachsen und weiß Bescheid über
die Lage seiner Landsleute in Rumänien und im Ausland, über den Zustand der
Gebäude und Kirchen. „Die Sachsen in Deutschland pflegen die Kontakte
untereinander und zu jenen in der alten Heimat. Jedes Jahr feiern 16 000 bis 18
000 Sachsen ihren Heimattag zu Pfingsten im bayerischen Dinkelsbühl. Auch der
Bischof aus Hermanstadt ist oft zu Gast. In München wird eine Zeitung der
Sachsen herausgegeben, ebendort ist der Hauptsitz ihrer Organisation, der
Landsmannschaft. Aber dies alles wird einmal zu Ende gehen, meint er traurig.
Unsere Kinder sind in Deutschland assimiliert. Sie haben keine emotionale
Bindung mehr zu Siebenbürgen. Sie sind anders, sie wollen was ganz anderes, sie
reden anders. Wir, die über 60-Jährigen, versuchen noch dieses Stück
Geschichte, Kultur und Zivilisation zu erhalten und weiterzugeben.
Oana Costea
Übersetzung:
Klaus Danielis