REFORMEN / In Rumänien sind Wirtschaft und Politik noch immer aufs Engste verzahnt
Das Geld versickert allerorten
Regierende Sozialdemokraten halten die Fäden der Macht in der Hand
Die EU hat Rumänien gerade wirtschaftliche und politische Fortschritte bestätigt, doch auch eine ganze Reihe von Defiziten festgestellt. Wie leben Menschen in einem System, in dem Wirtschaft und Politik aufs Engste verzahnt sind? Beispiele aus dem Alltag.
ELISABETH ZOLL
Paul-Jürgen Porr nimmt sich Zeit. Der Facharzt für Innere Medizin an einer der Universitätskliniken in Klausenburg wendet die handgeschriebenen_Übercveisungspapi ere die mehr an einen Einkaufszettel als an offizielle Unterlagen erinnern und legt sie weg. Papieren vertraut der erfahrene Mediziner nicht. Mehr schon dem Gespräch mit den Patienten und seinen Untersuchungen am Krankenbett.. „Das ist der Unterschied zu Ihrem Land. Dort verlassen sich die Ärzte mehr auf die Apparate. Wir kommen zu ähnlichen Ergebnissen, aber, zu weit geringeren, Kosten." Augenmerk ist gefragt weil es im rumänischen Gesundheitssystem an Geld und außerhalb der Universitätskliniken auch an Technik mangelt. Der Gesundheitssektor in Rumänien ist chronisch unterfinanziert. Und das nicht nur, weil sich das Land nach Jahren der Stagnation und ohne Reformen wirtschaftlich erst wieder dem Niveau von 1989 annähern muss, sondern weil Geld für die medizinische Versorgung im Stadtsbudget verschwindet. Der Fehler liegt im System. 1997 wurde in Rumänien die erste und einzige Krankenkasse eingerichtet, die von Bukarest aus zentral verwaltet wird. In der Theorie zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen ein, in der Praxis drücken sich vor allem größere staatliche Firmen vor der Pflicht. „Nur drei Viertel der Unternehmen führen ihre Beiträge korrekt ab", schätzt Porr, der der deutschen Minderheit, angehört. Und selbst diese Abgaben werden von der Regierung oft noch zweckentfremdet. Der Mediziner Porr sagt: „Wir alle leben mit Schulden." Offen sei nur, wie lange das gut geht. Beispiel Apotheken. Laut Gesetz werden Medikamente staatlich bezuschusst. Die Apotheken geben die Arzneimittel ab und stellen sie am Monatsende der Kasse in Rechnung. Diese zahlt in der Regel aber erst viele Monate später. Für die Apotheken bedeutet bei einer Inflationsrate von um die 30 Prozent in den Jahren 2001 und 2002 jeder zwischenfinanzierte Monat einen Schritt hin zum Bankrott. Die Konsequenz: Tabletten werden meist nur noch dann verkauft, wenn der Patient sie bar bezahlt inklusive des staatlichen Anteils. Auch Kliniken können oft nur Medikamente. verabreichen, die der Kranke zuvor selbst gekauft hat. Oder aber die Kliniken verschulden sich bei Pharmafirmen. Weil Kontrollen fehlen und politische Allianzen das Geschehen bestimmen, geraten auch Kommunen unter Druck. Paul. Becheanu, ein Kommunalpolitiker aus Kronstadt (Brasov), kann ein Lied davon singen. „Die politische Ausrichtung einer Kommune entscheidet mit über ihre Kreditwürdigkeit." Ohne passende Parteibücher der Lokalpolitiker gebe es keine Staatsbürgschaft. Und ohne einen solchen Eigenanteil bleiben den Städten wie EUGelder verwehrt.
Ohnmächtiger Stadtrat
Ausreichend eigene Mittel hat kaum eine Kommune. Dazu habe die Regierung zu viele kostspielige Aufgaben wie die Sanierung des maroden Energiesystems auf die Gemeinden abgewälzt ohne ausreichend finanziellen Ausgleich. Die Einnahmequellen der Städte sind begrenzt. Zwar können sie unter anderem Grund und Gewerbesteuer erheben. Doch was tun, wenn ein Unternehmen, das der Regierungspartei, der sozialdemokratischen PSD, nahe steht, nicht zahlt? Dann ist politischer Druck nicht möglich, Gerichtsprozesse können dauern. Bis dahin haben Gerichtskosten und Inflationsrate einen großen Teil der den Städten zustehenden Steuergelder verschlungen. Ohnmacht klingt aus den Worten des Stadtrats, der selbst der nationalliberalen Partei angehört. Und Verärgerung: Dass rund 1000 Bürgermeister und mehrere tausend Gemeinderäte seit der Kommunalwahl vor einem Jahr zur PSD übergetreten sind, führt Becheanu auf diese Form der Vetternwirtschaft zurück. Die PSD hat überall ihre Finger drin. Auch bei jenen Medien, die keine ausländischen Geldgeber haben. Der Druck auf regierungskritische Zeitungen und Sender ist nach Einschätzung von Armand Gosu, Historiker und Journalist, gestiegen. Vor allem seit Rumänien von den USA im AntiTerrorkampf politisch aufgewertet worden ist. Blätter, die zu oft zu Kritisches berichten, 'würden irgendwann einfach nicht mehr ausgeliefert werden. Die einzige staatliche Vertriebsfirma, in deren Führung ein Präsidentenberater sitze, sorge dafür. Auch der Druck auf Journalisten steige. So habe ein Ministerium alle seine Informationen als geheim eingestuft. Wer über solche „Geheimnisse" schreibe, müsse damit rechnen, im Gefängnis zu landen.
Schritt für Schritt Richtring Wachstum
Mit rund 22,4 Millionen Einwohner und einer Fläche von 240 000 Quadratkilometern gehört Rumänien zu den großen EU-Beitrittskandidaten. Trotz des schwierigen weltwirtschaftlichen Umfeldes verzeichnet Rumänien seit 2000 ein Wirtschaftswachsturn zwischen knapp 1,8 (2000) und 4,3 Prozent (2002). Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag 2002 bei 2100 Euro. Die Inflation beträgt derzeit rund 18 Prozent. 70 Prozent seiner Exporte wickelt Rumänien mit der EU ab. Die Durchschnittsrente ist bei 2.85 Millionen Lei (70 Euro), der durchschnittliche Nettolohn beträgt rund 130 Euro.
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