Süße Heimat Internet
Siebenbürger aller Länder sind durch das Wold Wide Web verbunden
Tag für Tag kommunizieren weltweit Menschen im Internet. Auch immer mehr Siebenbürger Sachsen aus dem In- und Ausland informieren sich auf Internetseiten, plaudern in Chat-Räumen und schreiben Nachrichten in Foren. In diesen virtuellen Räumen entsteht dabei für viele ein Stück Heimat, in der man sich kennt und in der man sich aufgehoben fühlt. Im Zeitalter moderner Kommunikation kann Heimat eben mehr bedeuten als ein Punkt auf der Landkarte.
Abgehackte Sätze erscheinen auf dem Bildschirm. Scheinbar ohne Zusammenhang. „Dann müsstest du ja eigentlich meinen Vater kennen“, fragt jemand. „Ist er Jahrgang 1957?“ flimmert es wenige Sekunden später über den Monitor.“ Sein ältester Bruder heißt Georg und wohnt auch in München“, ist die nicht ganz treffende Antwort. Aber Augenblicke später die Erkenntnis: „Jetzt weiß ich, wer dein Vater ist. Habe oft mit ihm als Kind gespielt und die Kühe gehütet.“
Erst nach einer Weile versteht man, dass sich im Chat mehr oder weniger alles um den kleinen Ort Urwegen/Garbova westlich von Reußmarkt dreht. Das englische Wort Chatten bedeutet soviel wie Schnattern, Plappern und stellt eine zwangslose Form der Kommunikation im Internet dar. Nutzer können sich dabei mit Hilfe der Tastatur ihres Computers über Ländergrenzen hinweg unterhalten. Einzige Voraussetzung ist ein Computer mit Internetzugang. Den Urweger Chat mit etwa 50 registrierten Nutzern gibt es seit etwa einem Jahr. Die meisten kommen aus Deutschland. „Aber es sind auch immer wieder Gäste aus den USA, Holland und der Schweiz anzutreffen“, erzählt der 33jährige Simon Depner, der die Seite www.urwegen.net zusammen mit seinem drei Jahre älteren Bruder Michael betreibt.
In den vergangenen zehn Jahren sind die weit reichenden Möglichkeiten, die das Internet bietet, auch an Rumänien nicht vorbeigezogen. Zahlreiche Seiten zum Thema Siebenbürgen sind entstanden. Alle identifizieren sich eng mit einer Heimat, die die meisten Nutzer noch aus ihrer Kindheit kennen. Aber bereits für die nachfolgende Generation der Kinder und Enkel lebt diese Heimat nur noch in den Erzählungen ihrer Eltern und Verwandten fort. „Durch Nutzung des Internets werden neue gemeinsame Kommunikationsräume entstehen, nachdem ein gemeinsamer Siedlungsraum für die Siebenbürger Sachsen für immer der Vergangenheit angehört“, bemerkt hierzu Johann Lauer, Webmaster vn www.SiebenbürgerSachsen.de.
Diese Kommunikationsräume werden die vorhanden Medien ergänzen und zur Erhaltung einer lebendigen Gemeinschaft beitragen, ist sich Lauer sicher. Menschen, die noch vor 15 Jahren eng zusammenlebten, haben sich nach dem Massenexodus der neunziger Jahre aus den Augen verloren. Aber selbst nach Jahren ist der Wunsch bei vielen groß, alte Freundschaften nicht einfach im Sande verlaufen zu lassen. „Suche Bekannte aus Agnetheln. Sie sind vor vielen Jahren in die Gegend Nürnberg/Fürth gezogen“, schreibt eine Familie ins Gästebuch von www.sibiweb.de.
Der Urweger-Chat der Brüder Depner ist regelmäßig am Donnerstagabend ab 21 Uhr MEZ geöffnet. Die dortigen Begegnungen bleiben aber nicht nur auf den virtuellen Raum beschränkt. „In der Ferienzeit im Juli und August sind zahlreiche Chat-Nutzer auf Besuch im Ort. Dann lernen sich gelegentlich Leute kennen, die sich im Chat getroffen haben“, erläutert Simon Depner die Vorteile dieser modernen Art der Kommunikation. Manchmal treffen sich Menschen wieder, die sich Jahre nicht sahen. Es interessieren sich auch Personen für den Chat, die nichts mit Urwegen zu tun haben. Die Themen sind vielfältig und entstehen oft spontan. Jeder kann sich einbringen, Fragen stellen oder Mitteilungen machen.
Auch auf den anderen Siebenbürger Webseiten ist die Themenpalette unbegrenzt. Sie reicht von Informationen über fast jeden sächsischen Ort, über pflege der Mundart, den Austausch von Kochrezepten bis hin zu Brauchtum und Tradition. Sind doch gerade diese für viele Menschen gleich Rettungsboten, die sie mit der Heimat verbinden und die das Leben im neuen Umfeld vertrauter machen. So fragt Werner auf www.sibiweb.de : „Mein aus Siebenbürgen stammende Frau schwärmt immer von einem speziellen Weinachsschmuck. Der Name ist ‚Katz im Sack’. Weiß jemand, wo ich so etwas bekommen kann?“
Fast alle Websites haben solch einen Bereich, ein so genanntes Forum oder Gästebuch, in dem ganz persönliche Dinge gesagt oder gefragt werden können. Dietmar, gebürtiger Hermannstädter, der seit einigen Jahren in Mexiko lebt, würde sich sehr freuen, mit einem Siebenbürger Verbindung aufzunehmen. Ebenso wäre er dankbar über eine Nachricht von jemanden, „der ein echtes Weinsteinkraut zubereiten kann“. Vielleicht ersetzt die Information aus dem Internet den ganz gewöhnlichen Schwatz am Gartenzaun, so wie es ihn früher gegeben hat. Das Internet ist somit für viele Ausgewanderte eine ideale Möglichkeit, ihre siebenbürgische Identität zu pflegen und den Kontakt mit der alten Heimat zu bewahren.
Im Netz trifft man Gleichgesinnte, frühere Nachbarn und Freunde, erinnert sich an Sitten und Bräuche und sieht aktuelle Fotos der alten vertrauten Umgebung. Elemente, die nicht vergessen lassen, woher man kommt. „Mit meiner Seite www.zeiden.de.vu möchte ich den ausgewanderten ehemaligen Bewohnern von Zeiden/Codlea die Gelegenheit geben, ihre Häuser, die Straßen und die Kirche bequem wiederzusehen“, sagt Webmaster Gert-Werner Liess in einem Interview mit der Siebenbürgischen Zeitung.
Auch auf www.urwegen.net ist das nicht anders. Die Brüder Depner wünschen sich, dass sich sowohl Urweger als auch Auswärtige gern an Siebenbürgen erinnern. „Junge Leute, die Urwegen nur vom Hörensagen kennen, sollen ermutigt werden, sich auf die Spuren ihrer Väter oder Großväter zu begeben.“ Die mit vielen Fotos interessant gestaltete Internetseite trägt jedenfalls einen ersten umfassenden Überblick über Geschichte und Gegenwart dieses kleinen Dorfes hinaus in die Welt. Die ehemaligen Bewohner sind in alle Winde verstreut und werden nie wieder zusammen leben. Das Gefühl gemeinsamer Wurzeln ist aber nach wie vor stark und findet in der virtuellen Gemeinschaft des Internets seinen Ausdruck. Oder um es mit den Worten des bekannten deutschen Sängers Herbert Grönemeyer zu sagen: „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl.“
Tino SCHAFT, Hermannstädter Zeitung